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Vorspann:

Die fünf guten Handlungen oder Tugenden gibt es nicht nur bei den Menschen. Auch im Elefantenland werden sie gelehrt. Wer wissen will, wie es Emil Elefant erging, als er diese Tugenden in einem kleinen Mango-Wald kennenlernte, der erfährt das hier:

 

Das andere Ufer

 

Elefant, Illustration Manfred SchmidtWie so oft war Emil Elefant im Dschungel unterwegs. Tage wie diesen, wenn die Sonne hoch am Himmel stand und den Urwald in ein geheimnisvolles Grün tauchte, liebte er. Dann spielten Licht und Schatten so lustig vor ihm auf dem Boden. Doch heute war Emil nicht nach Licht und Schattenspiel zu Mute. Eher nach einem stillen Plätzchen, an dem er ungestört nachdenken konnte.

Ihm schwirrten so viele Fragen im Kopf herum wie noch nie nach einem Unterricht beim Erleuchtungs-Elefanten. Normalerweise gab es nach seinem Vortrag immer eine Frage-Runde, bei der die Schüler-Elefanten noch einmal klären konnten, was sie nicht verstanden hatten. Aber heute musste der Erleuchtungs-Elefant nach dem Unterricht sofort zu einer Beerdigung. Deshalb fiel die Fragestunde aus. Genau heute hatte Emil das Gefühl, nichts verstanden zu haben. Alle seine Fragen kreisten unbeantwortet in seinem Kopf.

Zum Glück hatte er wenigstens mitgeschrieben.

Elefant, Illustration Manfred SchmidtInzwischen hatte er seinen Lieblingsplatz erreicht. Er lag in einem kleinen Mango-Wald, zu dem sich nur selten ein Tier verirrte. Elefanten kam sowieso nicht hierher, denn rings um die kleine Baumgruppe waren tiefe Löcher im Boden. Als Elefant konnte man sich leicht das Bein verstauchen, wenn man nicht aufpasste und aus Versehen hineintrat.

Mango, Illustration Manfred SchmidtVorsichtig ging Emil um die Löcher herum. Schließlich war er an seinem Lieblingsbaum angekommen. Er suchte den Boden nach heruntergefallenen Früchten ab. 27 reife Mangos lagen um den Baum herum. Köstlich! Zufrieden verschlang er sie und setzte sich dann vor dem Stamm nieder.

 

Umständlich kramte er sein Erleuchtungs-Heft hervor, das er in seiner Bauchtasche verstaut hatte. Doch bevor er nachlesen wollte, was er heute aufgeschrieben hatte, wollte er lieber noch eine Runde meditieren.

„Was machst du da?“, fragte ein kleiner gelber Vogel, der neugierig herangeflattert war.

Elefant_Vogel, Illustration Manfred Schmidt„Ich will meditieren. Der Erleuchtungs-Elefant hat uns heute ein neues Mantra gegeben“, erklärte Emil.

„Soso, ein neues Mantra“, wiederholte der gelbe Vogel belustigt. „Das alte war also nicht mehr gut genug?“, fragte er und ließ sich auf Emils rechter Schulter nieder.

„Das verstehst du nicht!“, schnaubte Emil den Vogel an und blies dabei Luft aus seinem langen Rüssel in Richtung seiner rechten Schulter. Der Vogel flatterte empört davon. „Also anschnauben muss ich mich von dir nicht lassen!“

Emil zog die Stirn kraus. Das letzte Mantra kannte er auswendig. „Om Mani Ele hung“ hieß es. Es bedeutete übersetzt „Du Herz im Juwelenelefant, erstrahle hell!“. Man sprach das Mantra, um Liebe und Mitgefühl in der Welt zu verbreiten. Nicht nur in der Elefantenwelt wären Liebe und Mitgefühl nötig, erklärte der Erleuchtungselefant immer wieder. Sondern überall. Sogar in den Welten außerhalb des Dschungels. Das allerdings konnte sich Emil nicht wirklich vorstellen. Deshalb freute er sich auf das neue Mantra, das sie zum anderen Ufer führen sollte. So jedenfalls hatte es der Erleuchtungselefant erklärt. Zu welchem Ufer hatte Emil allerdings nicht genau verstanden. Das hätte er gerne noch einmal gefragt. Und außerdem...

Elefant_Schmetterling, Illustration Manfred SchmidtEin großer bunter Schmetterling unterbrach Emils Gedanken. Er ließ sich nämlich auf Emils Rüssel und fragte. „Was machst du hier?“, fragte der Schmetterling neugierig.

„Ich versuche zu meditieren“, antwortete Emil.

„Du sitzt aber noch nicht richtig!“, bemerkte der Schmetterling keck.

„Ich habe ja auch nicht gesagt, dass ich meditiere, sondern ich habe gesagt, dass ich versuche zu meditieren. Du Dummdussel! Ich werde aber dauernd gestört.“

„Ich stör dich doch gar nicht!“, gab der Schmetterling zurück und öffnete seine herrlichen bunten Flügel. „Außerdem bin ich kein Dummdussel.“

„Bist du wohl. Bestimmt hast du keine Ahnung, was Meditieren ist!“ Er versuchte den Schmetterling von seinem Rüssel zu pusten. Was natürlich nicht gelang, schließlich saß er ja auf ihm.

„Oh Mann, jetzt habe ich das neue Mantra vergessen!“, beschwerte sich Emil.

„Wie heißt es denn?“, fragte der Schmetterling interessiert.

„Ich sagte doch, dass ich es vergessen habe! Außerdem geht dich das nichts an“.

Emil blätterte in seinem Heft. „Mit diesem Mantra kommst du zum anderen Ufer“ stand da in ordentlichen Buchstaben. Das hatte Emil von der Tafel abgeschrieben. Das Mantra aber war nicht an der Tafel gestanden. Der Erleuchtungs-Elefant hatte es ihnen nur vorgesagt und sie aufgefordert, es sich zu merken.

 „So eine Ameisenkacke aber auch!“, entfuhr es Emil.

Schmetterling, Illustration Manfred Schmidt„Komisches Mantra!“, meinte der Schmetterling und flatterte davon.

Emil las weiter in seinem Heft. „Um zum anderen Ufer zu kommen, braucht man fünf Voraussetzungen. Es sind fünf gute Taten, die man immer wieder tun muss. So lange, bis man sie nie mehr vergisst.

- gute Tat: Das Leben von anderen schützen und retten. Auf keinen Fall andere Tiere töten!

- gute Tat: Nur das nehmen, was einem gegeben wird. Das was anderen gehört, nicht stehlen

- gute Tat. Immer versuchen die Wahrheit zu sagen. Keine Schimpfworte gebrauchen und nicht schlecht über andere reden

 Emil dachte an die Unterhaltung mit dem Schmetterling und bekam einen roten Kopf. Schnell las er weiter.

- gute Tat: niemand anderem den Freund oder die Freundin wegnehmen.

- gute Tat: immer einen klaren Kopf behalten, sich nicht mit vergorenem Ananassaft betrinken, keine Oh-Wahnsinn-Beeren schlucken.
 

Elefant, Illustration Manfred SchmidtEmil schlug das Heft wieder zu. Der Erleuchtungselefant hatte gesagt, dass sie diese fünf guten Taten auswendig lernen sollten. Emil schloss die Augen. „Ameisen Kacke, Ameisen Kacke, Ameisen-Kacke. Ist das schwierig!“, schimpfte er.

„Du hast schon wieder dein neues Mantra gesagt!“, rief der Schmetterling, der gerade wieder vorbei geflattert kam. „Dreimal hintereinander sogar. Aber du sitzt immer noch nicht so, wie man beim Meditieren sitzen sollte.“ Der Schmetterling ließ sich erneut auf Emils Rüssel nieder. „Außerdem sagt man ein Mantra nicht nur dreimal sondern viele Male hintereinander.“

„Du Dummerling!“, fuhr Emil den Schmetterling an. „Ameisen Kacke ist doch kein Mantra!“

„Was denn dann?“ Der Schmetterling ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

„Ein Fluchwort!“ Verärgert versuchte Emil den Schmetterling von seinem Rüssel zu vertreiben.

„Lernt ihr das beim Erleuchtungs-Elefanten?“, fragte der Schmetterling nach. Er flatterte kurz weg, kam aber sofort wieder zurück.

„Oh, verdammt! Regel Nummer 3!“, entfuhr es Emil. „Ich darf keine Schimpfwörter benutzen, sonst schaff ich es nie ans andere Ufer!“

„Verdammt ist aber auch ein Schimpfwort“, bemerkte der Schmetterling sofort.

„Jetzt reicht’s mir aber! Lass mich in Ruhe sonst ...“

Emil verstummte. Fast hätte er wieder etwas gesagt, was keine gute Tat war. Außerdem wollte er etwas tun, was auch keine gute Tat war, nämlich den Schmetterling fangen und dann... Er seufzte. Wenn er es sich recht überlegte, wollte er gerade gegen Nummer 3 und Nummer 1 verstoßen.

„Bist du wieder lieb?“, fragte der Schmetterling.

Emil nickte. „Ich bleibe noch eine Weile hier“, meinte er verdrossen. „Ans andere Ufer kann ich immer noch, wenn ich etwas älter geworden bin.“

„Soso, ans andere Ufer kommen. Du meinst also die Paramitas?“, wollte der Schmetterling wissen.

„Keine Ahnung“, gab Emil zurück. An dieses Wort erinnerte er sich nicht. Was der Schmetterling sagte, hörte sich aber sehr klug an.

„Wenn du willst, kannst du gerne auf meinem Rüssel sitzen bleibe, während ich meditiere“, lud er jetzt den Schmetterling freundlich ein.

„Ich werde das Große Mantra des Grauen Mitfühlenden sprechen. Das kennst du sicher.“ Inzwischen war Emil klar, dass der Schmetterling kein Dummdussel war.

„Bei euch Elefanten heißt das Om mani ele hum“, antwortete der Schmetterling.

Emil nickte und schaute den Schmetterling freundlich an.

Elefant_Meditation,  Illustration Manfred Schmidt„Dann können wir ja zusammen meditieren“, meinte er und verschränkte seine Beine, straffte den Rücken und legte die Vorderbeine vor dem Herzen zusammen. Seinen Rüssel hielt er so, dass der Schmetterling nicht herunterfallen konnte. Denn der hatte sich gerade in den Lotossitz gesetzt, die Flügel geöffnet und seine vorderen Fühler vor dem Herzen zusammengefaltet.

 

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