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Der schüchterne Baumgeist

 

Judasbaum, aus Wikipedia, Foto: TangopasoIn einer Höhle in den Hügeln des Himalaya war der Buddha einmal als eine wunderschöne Gans geboren worden. Ihr Gefieder leuchtete golden, wenn die Sonne darauf schien. Zu den Lieblingsbeschäftigungen der Gans gehörte es, jeden Tag zu einem nahe gelegenen See zu fliegen. Dort schlug sie sich ihren Bauch mit rohem Reis voll, der wild am Ufer wuchs. Auf der Strecke, die sie jeden Tag hin und her flog, stand ein großer Judasbaum Die Gans hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, auf ihrem Hin- und Rückflug jedes Mal in dem Baum Halt zu machen und sich dort auszuruhen. In diesem Baum lebte auch ein scheuer Baumgeist. Nach und nach freundeten sich die beiden miteinander an.

Manchmal wurde der Baum auch von einer Ente besucht, die in der Nähe die reifen Früchte eines Banyan-Baumes aß. Oft setzte sie sich danach in die Äste des Judasbaumes und machte ein kleines Verdauungsschläfchen. Bevor sie weiterflog, kackte sie meistes noch auf den Ast. Einmal blieb ihr kleines Häufchen, in dem sich auch ein Same des Banyan-Baumes befand, so ein einer Astgabel liegen, dass der Regen es nicht herunterspülen konnte. Ziemlich schnell war aus dem Samen ein kleines Bäumchen geworden. Es war schon fast einen Meter hoch, hatte einen hellen Stamm, rötliche Triebe und grüne Blätter. Die Gans, die das natürlich mitbekam, warnte den Baumgeist: „Pass auf, in einer deiner Astgabeln wächst ein Banyan-Baum. Solche Bäume machen über kurz oder lang jeden Baum kaputt, auf dem sie wachsen. Banyan-Bäume sind Wucherbäume, die ersticken alles um sich herum.“

Banyan-Baum, aus Wikipedia, Foto: AhoerstemeierBestürzt hörte der Baumgeist zu. „Was soll ich denn machen?“, fragte er ängstlich die Gans.

„Das beste für dich wäre, du reißt den Banyan-Baum mit allen seinen Wurzeln aus und wirfst ihn weg, bevor er deinen Baum ganz zerstört hat. Je früher du es tust, desto besser.“

Der Baumgeist antwortete: „Ich weiß nicht recht. Ich könnte ihn doch auch einfach wachsen lassen und für ihn sorgen, wie eine Mutter für ihr Kind. Vielleicht ist es ja eine Prüfung für meine Fürsorge.“

„Mein lieber Baumgeist, ich glaube, da irrst du dich. Es ist kein einziger Banyan-Baum bekannt, der den Baum, auf dem er wächst, nicht kaputt gemacht hätte. Ich bin sicher, dass dieser hier keine Ausnahme ist!“

Doch der Baumgeist schenkte der Gans kein Vertrauen. Er blieb dabei: Sein Banyan-Baum würde die große Ausnahme sein. Wenn er ihn genug pflegen würde, dann würde der ihn sicher nicht zerstören.

„Wie du meinst!“, antwortete die Gans „Mir gefällt das nicht. Wenn der Baum weiter auf dir wächst, will ich auch nicht mehr hierher kommen. Ich fühle mich nicht wohl in seiner Nähe. Leb wohl!“

Nach diesen Worten breitete die Gans ihre Schwingen aus und flog davon.

Schnell wuchs der Banyan-Baum und wurde immer größer. Bald stellte sich heraus, dass auch dieser Baum einen Schutzgeist hatte, der in ihm wohnte. Aber er war nicht scheu und freundlich wie der des Judasbaumes sondern zornig und böse.

Als der Banyan-Baum fast so groß war wie der Judasbaum, brach der Ast, auf dem er wuchs, und riss auch den Wohnsitz des Judasbaumgeistes herunter.

Da erinnerte sich der Baumgeist plötzlich wieder an die Worte der Gans und voller Wehmut dachte er zurück: „Die Gans hat diese Gefahr kommen sehen und mich gewarnt. Warum habe ich nur nicht auf sie gehört?“ Der Geist des Judasbaumes weinte. „Jetzt hat mich der Banyan-Baum mit seinem zornigen Schutzgeist so in die Enge getrieben, dass ich mich voller Angst in den letzten Rest, der mir von meinem Baum geblieben ist, zurückziehe! Hätte ich nur früher, als ich noch stark war den Banyan-Baum ausgerissen, so wie die Gans es mir geraten hatte!“

Das Weinen störte den Banyan-Baum nicht. Er wuchs und wuchs und wuchs und bald war von dem Judasbaum nur noch ein Stumpf übrig. Der Geist des Judasbaumes war fast ganz verschwunden. Nach und nach hatte der Schmerz ihn aufgezehrt.

In seinen Gedanken war er noch oft bei der Gans, die ganz genau gewusst hatte, dass man sich vor solchen Wesen in Acht nehmen sollte.

Bis zu seinem Tod sagte der Baumgeist ein kleines Gedicht vor sich her, erst laut, dann leiser, bis er schließlich ganz verstummte:

„Meide die, die dich bedrängen,

die dich würgen und sich an dich hängen,

weich ihnen aus schnell und geschwind,

pass gut auf dich auf, liebes Kind!“

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